Bronzemedaille an der Philosophie-Olympiade

Noch vor den Ferien erreichte uns die Nachricht, dass Axel Vanoni (3Mz) an der Schweizer Philosophie-Olympiade an der Universität Bern die Bronzemedaille gewinnen konnte.

Die Finalisten

Wir möchten euch die Texte, mit denen sich Axel gegen seine Mitbewerber behaupten konnte, nicht vorenthalten und veröffentlichen diese nachfolgend in voller Länge:

Halbfinaltext: Sind alle Ungleichheiten Ungerechtigkeiten?

Ungerechtigkeiten sind oft in den Medien zu finden. Sei es nun die Lohnbenachteiligung von Frauen oder der enorme Unterschied der Lebensqualität zwischen industrialisierten Ländern und Entwicklungsländern. Alle diese Beispiele haben eins gemeinsam: Die Ungerechtigkeit entspringt aus der Ungleichheit. Man könnte jetzt versucht sein, alle Ungleichheiten als Ungerechtigkeiten abzutun, und zu fordern, man solle alle Ungleichheiten aus der Welt schaffen. Entstehen aber wirklich aus allen Ungleichheiten Ungerechtigkeiten oder können Ungleichheiten auch Positives hervorbringen?

Ich glaube nicht, dass alle Ungleichheiten ungerecht sind. Ungleichheiten sind meiner Meinung nach ein wichtiges Gut, dass es zu schützen gilt. Ohne Ungleichheiten ist keine Individualität möglich. Wenn alle das gleiche denken, das gleiche wissen, das gleiche können, das gleiche wollen, gleich aussehen, dann kann man nicht mehr von Individualität sprechen. Eines der Grundsätze unserer Verfassung ist das Recht auf Individualität. Dies wird mit den Rechten zur Meinungsfreiheit, zur Glaubensfreiheit und zur Redefreiheit ausgedrückt. Wenn dies ungerecht wäre, dann wären alle diese Elemente wohl kaum in unserer Verfassung, oder wären schon lange attackiert worden. Im Gegenteil. In der Türkei, wo diese Rechte eingeschränkt wurden, spricht man von einer Missachtung der Menschenrechte.

Ungleichheiten wirken sich aber auch auf unsere Gesellschaft in einem positiven Sinne aus, denn sie führen dazu, dass sich Menschen anstrengen, um diese Ungleichheiten auszugleichen oder um möglichst weit dabei zu kommen. Das Ergebnis ist, dass die Menschen gemäss ihren Interessen möglichst viel zu erreichen versuchen, sei dies nun im Berufsleben oder im privaten Leben. Oft führt dies zu einem Mehrwert für die Gesellschaft, denn dieses Streben zum Erfolg bringt Innovation mit sich. Viele versuchen sich zu profilieren und eine Nische zu finden, die noch nicht abgedeckt ist. Diese Suche führt dann zu neuen Konzepten, zu neuen Produkten, zu neuen Lösungen, welche die Gesellschaft nachhaltig zum Positiven verändern können. Als Beispiel seinen hier die rasanten medizinischen Fortschritte genannt. Diese wären ohne die Motivation, die aus der Ungleichheit kommt, wahrscheinlich kaum in dieser Geschwindigkeit möglich. Wenn der wirtschaftliche Anreiz nicht stimmt, dann wird heute ein Produkt oft nicht entwickelt.

Während Ungleichheiten in den vorhergenannten Szenarios nicht zu Ungerechtigkeiten führen, darf nicht vergessen werden, dass viele Ungleichheiten das Potenzial bieten, eine Ungerechtigkeit zu werden. Was genau unterscheidet aber eine „gute“ von einer „schlechten“ Ungleichheit? An dieser Stelle sei das obige Beispiel der Lohnbenachteiligung von Frauen genannt. Das Problem hierbei ist, dass sie für gleiche Arbeit weniger bezahlt werden. Wenn man das Beispiel des Unterschiedes der Lebensqualität nimmt, so scheint es ungerecht, dass einige Menschen in Entwicklungsländern mehr als so manch einer in Industrienationen arbeiten, aber doch eine schlechtere Lebensqualität haben. Im Sport finden sich auch Beispiele für Ungerechtigkeiten, speziell das Verhalten der Schiedsrichter fühlt immer wieder zu Gesprächsstoff, Aus dem Vergleich dieser Beispiele kann man schliessen, dass Ungerechtigkeiten aus einer ungleichen Behandlung ähnlicher Aktionen oder ungleicher Behandlung unter ähnlichen Voraussetzungen stammen. Auch der Vergleich mit anderen Beispielen wie das mangelnde Publikum einiger talentierter Musiker, die ungleiche Verteilung von Asylsuchenden in Europa oder die Massnahme der Anonymisierung von Bewerbungsunterlagen damit niemand ungerecht behandelt wird, stützt diese These.

Zusammenfassend kann man also sagen, dass nicht alle Ungleichheiten ungerecht sind. Ungleichheiten, die auf unterschiedlichen Ausgangssituationen beruhen, können förderlich für die Gesellschaft sein, während Ungleichheiten, die auf gleichen Ausgangssituationen beruhen zu Ungerechtigkeiten werden können.

 

Der Text für die Teilnahme am Finale sollte zum folgenden Zitat der österreichischen Philosophin Helene von Druskowitz (1856-1918) verfasst werden:

„Es ist ohne Zweifel wichtig, zur Einsicht zu gelangen, dass das Souveränitätsgefühl des Ich […] gänzlich illusorisch und das gesammte Fühlen, Denken und Thun des Menschen vielmehr als ein durch eine unendliche Reihe vorhergegangener Ursachen notwendig bestimmtes, also als Wirkung aufzufassen sei. Allein man darf bei dieser Anschauung des Menschen nicht stehen bleiben.“ – Helene von Druskowitz, 1887

In diesem Zitat postuliert Helene von Druskowitz, dass das Souveränitätsgefühl des Ich, also der freie Wille, eine Illusion sei. Vielmehr sei das gesamte Fühlen, Denken und Handeln durch eine unendliche Reihe vorhergegangener Ursachen bestimmt, oder in anderen Worten komplett deterministisch. Weiter verlangt sie aber, dass man nicht bei dieser Anschauung der Menschen stehen bleiben darf.

Zuerst möchte ich den ersten Teil der Aussage beleuchten, exemplarisch am Beispiel des Denkens. Die Vorgehensweise ist aber mit dem Fühlen und dem Handeln ähnlich nachzuvollziehen. H. von D. geht davon aus, dass der Denkprozess deterministisch ist. An dieser Stelle soll darauf hingewiesen werden, dass ein deterministischer Prozess bei zwei gleichen Anfangssituationen das gleiche Ergebnis haben muss. Dies bedeutet, dass in einem deterministischen Prozess keine zufällige Komponente vorhanden sein darf, denn sonst könnte es sein, dass man bei gleichen Ausgangssituationen verschiedene Resultate vorfindet. Wenn man nun annimmt, dass das Denken in einem Organ stattfindet, das den physikalischen Gesetzen unterworfen ist, so steht die Annahme eines deterministischen Prozesses im Konflikt mit der Quantentheorie, die probabilistischer Natur ist. Konkret wird der Denkprozess, der physikalischer Natur ist, durch das Quantenverhalten beeinflusst. Da dieses aber nicht deterministisch ist, können auch keine deterministischen Resultate hervorgebracht werden, sondern nur probabilistische. An diesem Punkt gibt es grundsätzlich drei Optionen. Entweder man nimmt an, dass das Denken ausserhalb der physikalischen Gesetze geschieht oder dass die Quantentheorie falsch ist oder dass das Denken nicht deterministisch ist. Die Richtigkeit der Quantentheorie möchte ich hier nicht anzweifeln, da sie schon mehrmals experimentell bestätigt wurde und da ich nicht genügend Sachwissen darüber verfüge.

Wenn man nun annimmt, dass das Denken ausserhalb der physikalischen Gesetze agiert, so gibt es für uns Menschen keinen Weg dies zu überprüfen und diese Annahme zu falsifizieren. Wenn man aber annimmt, dass das Denken den physikalischen Gesetzen folgt, dann ist dies konkret messbar und falsifizierbar. Weil nicht falsifizierbare Thesen zur Meinungssache werden, sind sie irrelevant. Dementsprechend bleibt nur der Schluss, dass das Denken eine physikalische Angelegenheit ist.

Wenn man diese zwei Prämissen akzeptiert, dann bleibt nichts anderes übrig als zu folgern, dass das Denken nicht deterministisch sein kann. Das bedeutet aber nicht automatisch, dass ein freier Wille angenommen werden muss. Dies bedeutet lediglich, dass zwei gleiche Ausgangssituationen zu unterschiedlichen Resultaten führen können. Diese Gegebenheit lässt sich am Beispiel des Brettspiels „Mensch ärgere dich nicht“ illustrieren. Wenn man auf einem Feld steht, dann ist klar, dass man zwischen einem und sechs Felder weit laufen wird und ob man bei einer bestimmten gewürfelten Zahl jemanden nach Hause schicken darf. Das einzige, was an diesem Zeitpunkt noch nicht feststeht ist, wie weit man jetzt tatsächlich läuft. Dieses Element ist dem Würfel und somit dem Zufall überlassen. Wenn man dieses Beispiel auf den Denkprozess überträgt, dann könnte es sein, dass mehrere Aktionen, Handlungen oder Gefühle deterministisch bestimmt werden und schliesslich der Zufall über das konkrete Resultat entscheidet.

Die postulierte Illusion des freien Willens muss also nicht aufgegeben werden, die deterministische Komponente hingegen schon, solange die Quantentheorie korrekt ist.

Nun möchte ich den zweiten Teil der Aussage näher betrachten. H. von D. verlangt, dass man nicht bei dieser Anschauung der Menschen stehen bleibt. Dies kann man auf verschiedene Arten interpretieren. Zum einen könnte sie damit meinen, dass man sich nicht zu viele Gedanken darüber machen soll. Sie könnte aber auch meinen, dass man die Illusion des freien Willens behalten soll oder aber dass man die Anschauung des Menschen weiterentwickeln soll.

Wenn man davon ausgeht, dass dieser Satz tatsächlich dazu führt, dass man nicht zu viel daran denkt, dass der freie Wille eine Illusion sei, dann könnte dies dazu führen, dass man sich dessen nicht immer bewusst ist und dies bei anderen nicht voraussetzt. Dies wiederum kann einerseits dazu führen, dass man sich nicht machtlos fühlt und deshalb vermeidet in eine eventuelle Lethargie zu verfallen. Andererseits kann dies auch dazu führen, dass man weiterhin verantwortungsvoll handelt, da man dann die Verantwortung nicht auf die Determiniertheit abwälzt. Die Interpretation des Satzes im Sinne der Aufrechterhaltung der Illusion hätte ähnliches zur Folge.

Wenn man aber von der dritten Interpretationsmöglichkeit ausgeht, dass man das Menschenbild weiterentwickeln soll, dann tritt die Frage in den Vordergrund, wieso sie dazu auffordert. Ich gehe davon aus, dass sie entweder ihre Einsicht anzweifelt, oder sich wünscht dass ihre Erkenntnis falsch ist. Ersteres schliesse ich aus, da sie selbst sagt, dass es ohne Zweifel wichtig sei, zu dieser Einsicht zu gelangen. Zweifelte sie am Wahrheitsgehalt ihrer Worte, so würde sie wohl kaum die Wichtigkeit dieser Einsicht so betonen.

Deshalb muss unter dieser Interpretation davon ausgegangen werden, dass sie sich wünscht, dass sie Unrecht hat. Die Gründe dafür können unzählig sein. Jedoch nehme ich an dieser Stelle an, dass die Furcht vor Gleichgültigkeit eine Rolle gespielt hat. Denn eine Implikation dieser Einsicht wäre, dass jegliche Anstrengung überflüssig wäre, da das Ergebnis des Prozesses von Anfang an feststeht. Dies wiederum hätte zur Folge, dass jegliche verrichtete Arbeit keine Anerkennung verdienen würde, da das Abschliessen derselben einerseits klar, andererseits nicht willentlich war, da es solche Konzepte wie freier Wille nicht gäbe.

Aus diesen drei Interpretationsmöglichkeiten wird klar, dass sich H. von D. sich die Welt mit freiem Willen als eine bessere Welt als eine ohne vorstellt.

Somit wurde gezeigt, dass die Emotionen, Gedanken und Aktionen einerseits nicht deterministisch sein können und an einem Beispiel illustriert dass dies nicht zwingend zur Annahme eines freien Willens führt, und andererseits dass in den Augen von Helene von Druskowitz ein freier Wille wünschenswert wäre, auch wenn sie nicht die Existenz eines solchen anerkennt.