Ein Bericht von Enza Gervasi, Organisatorin der Lesung
Was macht eine Geschichte interessant? Dieser Frage ging der Tessiner Autor Mattia Bertoldi in seiner Lesung im (coronabedingt kleinen) Rahmen der Offenen Kanti an der Kantosschule Romanshorn am Donnerstag, den 29.Oktober 2020, nach.
Die Qualitäten der Romanfiguren sollen Empathie beim Lesen des Textes hervorrufen. Ausschliesslich positive oder negative Eigenschaften der Figuren langweilen schnell, Ambivalenzen hingegen wirken spannend.
Die Geschichte kommt in Fahrt, wenn man das Zusammenspiel der vier wichtigsten Figuren im dritten Roman von Mattia Bertoldi «Come tanti piccoli ricordi» (2019) betrachtet: Manlio, der Gedächtnisassistent mit einem gebrochenen Herzen, Camilla, die (wegen eines Aneurysmas) Vergessliche, deren Sensibilität Manlio helfen soll, die zerbrochene Liebe zu vergessen, Eliana, die Mutter Camillas, die um jeden Preis die Kontrolle über das Leben ihrer Tochter haben will, und Giga, der geniale Informatiker und beste Freund Manlios.
Mattia Bertoldi hat auf einfühlsame Art das sensible Thema des Gedächtnisverlustes aufgegriffen. Die Tricks Manlios, die seinen Patienten, darunter Camilla, helfen, sich im Leben wieder zurechtzufinden, lassen den Leser / die Leserin mehr als einmal schmunzeln. All diese Elemente ergeben eine Geschichte, in der die Figuren nicht fixen Rollen zugeteilt sind, sondern deren Charaktereigenschaften und Macken eine Dynamik entwickeln, die fesselt und den Rezipienten anregt, sich mit neurodegenerativen Erkrankungen auseinanderzusetzen.